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Schulsozialarbeit

Eselschultage mit Misthaufen und Streicheleinheiten

Seit Januar gehören Ausflüge auf den Eselhof Neumühle zum festen Wochenpro-gramm der Grundschule Bergstraße/Röchlinghöhe Völklingen. Tiergestützte Pädago-gik wirkt dort manchmal kleine Wunder.

„Oh, ich hab warm“, stöhnt Amelie vergnügt. „Ich auch“, sagt Luca, „ich zieh die Jacke aus.“ Gesagt, getan. So ein Job als Tierpfleger ist ganz schön schweißtreibend. Mit buntem Werkzeugsammelsurium – ein Schneeschieber, eine Schaufel, ein Laubrechen – kratzen sie hochmotiviert Pferdeäpfel vom Boden und befördern sie mit Schwung in die Schubkarre, die Egemem gleich zum Misthaufen fährt. Nur, dass keiner von ihnen Tierpfleger ist. Und die Pferdeäpfel von Eseln stammen.

Willkommen auf dem Eselhof Neumühle in Heusweiler. Seit zwölf Jahren kümmert sich Kathrin Bach hier schon um ihre Langohren. Ein Fulltimejob, den sie mit Leidenschaft ausfüllt. „Esel haben einen wunderbaren Charakter und eine herrlich beruhigende Wirkung“, begründet die Hofbetreiberin ihr Engagement. Angefangen hat alles mit zwei Eseln, die anderen gesellten sich nach und nach dazu, erinnert sich die gelernte Steinmetzin: „Die haben mich gefunden“, aktiv gesucht hat sie nie, Max aus Luxemburg nicht und Olli aus Bayern genau so wenig. Sie alle haben ihre ganz eigene Geschichte: Antonios erstes Leben spielte sich in einem italienischen Zirkus ab, Julius wurde beim Eseltrekking aussortiert. Zwölf Tiere wohnen inzwischen im Eselhof, sie alle verdanken Kathrin Bach ihr Leben. Einige wären vermutlich als Salami geendet, einer sollte erschossen werden, um an den Hund verfüttert zu werden. Was das junge „Personal“ natürlich nicht zu wissen braucht.

Bei ihnen handelt es sich um Erst- und Zweitklässler der Grundschule Bergstraße/Röchlinghöhe in Völklingen, die sich einen ganzen Schulvormittag den Eseln widmen dürfen. Ohne Susanne Gentes wären Amelie, Luca, Egemem und die anderen Kinder nicht hier. Die Schulsozialarbeiterin des ASB trieb schon länger der Wunsch nach tierischer Unterstützung in ihrer Arbeit um. „Wir sind ein ganz besonderer Standort mit hohem sozialpädagogischen Bedarf.“ An der Brennpunktschule in der Innenstadt und der Dependance im Stadtteil Röchlinghöhe lernen Schüler aus 21 verschiedenen Nationen. „Heute haben Kinder kaum noch direkten Kontakt zu Tieren; zugleich steigt die Anzahl Heranwachsender mit Verhaltensauffälligkeiten.“ Deshalb greifen Lehrkräfte immer öfter auf den Ansatz der tiergestützten Pädagogik und den gezielten Einsatz von Tieren zurück. Hunde kamen für Susanne Gentes nicht in Frage, „da bestehen zu oft Berührungsängste und tiefer reichende Traumata“. Ein potentielles Angebot sollte so niedrigschwellig wie möglich sein, „Alpaka und Lama beispielsweise sind zu empfindlich“. Zu Hilfe kam wie so oft Kommissar Zufall. „Beim Kochen habe ich nebenbei einen Bericht über den Eselhof gesehen.“ Die Sozialpädagogin wurde sofort hellhörig und forschte im Internet nach den Anbietern. „Da habe ich Kathrin gefunden.“

Der Kontakt kam zustande, ein wöchentlicher Turnus konnte vereinbart werden. Doch ohne finanzielle Unterstützung wäre es ein ambitionierter Plan geblieben. Zum Glück gibt es die gemeinsame Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“, die Mittel für sozial benachteiligte Schüler bereit stellt. So konnte im Januar 2024 das erste Mal ein Kleinbus mit elf Grundschülern nach Heusweiler starten. Der Ablauf vor Ort ist immer der Gleiche: Nach einer herzlichen Begrüßung, an der Hofhund Carlos (ein freundlicher, geduldiger Riese) nicht ganz unbeteiligt ist, betreten die Erstklässler das Gehege der von Kathrin ausgewählten Esel. „Nicht alle mögen Kinder.“ Die Tiere erhalten frisches Heu, sie werden gestriegelt und anschließend zu einem Spaziergang angeschirrt. Erste Amtshandlung ist jedoch das Ausmisten.

Was Esel für den therapeutischen Job qualifiziert? „Sie agieren besonnen“, ganz anders als Pferde, die Fluchttiere sind, erzählt Kathrin Bach. Stuft der Esel die gegenwärtige Situation als ungefährlich ein, erfüllt er gern seine Aufgabe. Das Bild vom dummen, störrischen Graurock ist eine Erfindung der Märchenerzähler. „Esel sind friedfertige und geduldige Wesen“, weshalb die Hofbetreiberin Besuchern verschiedene Aktivitäten mit ihren Tieren anbieten kann. Streicheln und kleine Ausflüge zu Fuß in die Umgebung gehen immer. Ein No-Go sind dagegen Lärm und große Menschenansammlungen. Die bedeuten für die Huftiere purer Stress, dem sich kein Esel freiwillig aussetzt.

„Kinder und Jugendliche lernen bei uns auf dem Hof mit viel Freude einen einfühlsamen, freundlichen Kontakt und Umgang, sowohl miteinander als auch mit den Tieren.“ Gefördert wird neben Sozialbewusstsein, Mitgefühl und Fairness auch die Fähigkeit, sich in andere Lebewesen einzufühlen. Was so ziemlich genau das ist, was sich Susanne Gentes gewünscht hat. Drei Gruppen kamen bisher schon in den Genuss der „Eseltherapie“ mit jeweils fünf Einzelterminen. „Wir sind da ein bisschen am Ausprobieren, welche Intervalle Sinn machen.“ Einerseits sollen so viele Kinder wie möglich in den Genuss der beliebten Eselvormittage kommen. Anderseits verpufft der Effekt möglicher Weise, wenn es an Wiederholung mangelt

Die Effekte, die Susanne Gentes beobachten konnte, sprechen jedenfalls für sich. Es gibt da zum Beispiel einen Jungen mit autistischer Störung, „der ist wie verwandelt, sobald er das Gelände betritt.“ Auf dem Schulhof wirke der Achtjährige oft „verlassen und verloren, hier redet er und interagiert, das ist unglaublich“. Vieles, was die Kinder auf dem Eselhof zu erledigen haben, geht nur zusammen. Was dem Wir-Gefühl ungemein zuträglich ist. „Der Eselhof ist aber auch ein guter Ort, um sich auszuprobieren.“ Dabei denkt die Pädagogin vor allem an das wie aus dem Ei gepellte Mädchen, das mit funkelnagelneuen weißen Turnschuhen aufkreuzte. „Letztendlich kletterte sie damit sogar auf den Misthaufen. Der Vater kam persönlich in der Schule vorbei, um sich zu bedanken“. Nix mehr von wegen Prinzessin. „Das nächste Mal hatte sie Gummistiefel und Matschhosen an.“ Und dann gibt es da noch diesen kleinen Macho. Frech und respektlos, der das gesamte Kollegium zur Weißglut bringt. „Der ist hier ein völlig anderes Kind“, staunt Susanne Gentes nach wie vor. „Der streichelt den Hund und redet mit ihm“, was ihr in der Schule niemand glauben will.

Für arabische Jungs ist es manchmal ein Problem, ausmisten zu müssen. „Das sind für sie minderwertige Arbeiten.“ Doch auch der Zahn ist in der Regel schnell gezogen. So gibt heute auch Murat klein bei: „Was ist meine Belohnung“, fragt der Grundschüler, als es ans Kehren geht. „Hier zu sein“, meint Susanne Gentes ganz ruhig. Sie kennt dutzende Kinder, die glücklich wären, heute an Murats Stelle dabei sein zu können.“ Was ihr wirklich Sorge bereitret, ist die auslaufende Finanzierung. „Das Geld geht zu Ende, wir müssen eine neue Lösung finden.“ Diese kleine Oase für Stadtkinder wieder aufzugeben, ist keine Option.